Miguel, 2005, HD video

video still


Miguel, 2005
HD video. color, sound 1.15 min.
Written, directed, and performed: Shahram Entekhabi
Camera: Arne Hector

(Farsi text below)

Worte über "M".


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Kathrin Becker

Eine Sonderstellung in Entekhabis neuem Werkkomplex nimmt die Arbeit Miguel ein. Die Figur erinnert an einen Guerilla-Kämpfer, seine Kleidung entspricht der eines Paramilitärs, sein Vollbart kennzeichnet ihn als antiwestlich. Während er die Kamera permanent fixiert, eine Zigarre in den Mund nimmt und seinen Revolver lädt, bricht Miguel in Gelächter aus, das im Laufe des Films immer lauter wird. Er langt in seine Tasche und bringt eine Eierhandgranate, wie sie bereits seit dem 2. Weltkrieg vielfach von Selbstmordattentätern benutzt worden ist, hervor. Unmittelbar zieht er den Splint und wirft sie mit einer nachlässigen Geste zu Boden, so dass nun sofort ihr Verzögerungssatz in Gang gesetzt wird, der der Detonation unmittelbar vorausgeht. In Anspielung auf die Parallelität der Begrifflichkeiten vom Zünden einer Granate und Anzünden einer Zigarre, zückt Miguel ein Streichholz und brennt seine Zigarre an. Er nimmt einen tiefen Zug. Lachend stößt er den Rauch aus. Das Bild löst sich auf.

Während Miguel äußerlich auch aus dem Mittleren Osten stammen und z.B. ein Angehöriger der bewaffneten linken Fadayan-Guerilla-Gruppen sein könnte, die Ende der 70er Jahre im Iran an der Seite der radikalen Islamisten gegen den Schah kämpften, rücken ihn sein spanischer Name und die Zigarre eher in die Nähe zu Che Guevara oder Fidel Castro. Damit wäre im Komplex der Figuren, mit denen Entekhabi operiert, erstmals der islamische Kulturkreis verlassen. Aber auch in der formalen Umsetzung nimmt das Video eine Sonderstellung ein: Während Mehmet, Mladen und Islamic star, die sich auch rein äußerlich in unsere alltägliche Bilderwelt einfügen, im öffentlichen Straßenland aktiv sind, befindet sich Miguel in einem isolierten Innenraum. Außerdem steht Miguel in direktem Augenkontakt mit der Kamera, also mit der BetrachterIn. Dadurch tritt die dokumentaristische Dimension in den Hintergrund, unter gleichzeitiger Betonung des "Gemacht-Seins" des Videos. Wesentlich aber ist hier, dass sich – in einer Art Inversion des gesellschaftlichen Prozesses der vorurteilsbehafteten Fremdwahrnehmung von Migranten – Autoaggression und Aggression gegen Dritte die Waage hält, denn das Zünden einer Handgranate als Akt des Selbstmordattentats schließt bejahend mit ein, dass Dritte geschädigt werden. Entekhabi bezieht in diesem Sinne die BetrachterIn direkt mit ein und schafft über das Lachen eine zusätzliche Kontaktebene. Denn Lachen ist – wie insbesondere neuere psychologische Forschung zeigt – ein Kommunikationsmittel, dass dazu dient, im Gegenüber bestimmte Emotionen zu wecken und direkt auf das Unbewusste zielt. So dient das Hohnlachen dazu, Opfer zu düpieren und eine Verbindung zwischen den Aggressoren zu schaffen. Entekhabis Spiel mit Gewalt bleibt jedoch immer auf der Ebene einer Suggestion, denn seine Granaten detonieren nicht, sein Benzin geht nicht in Flammen auf. Vielmehr ist das Medium Video für ihn eine Möglichkeit, sich das eigene Bild, das ihm durch die gesellschaftliche Stigmatisierung seiner selbst als "Migranten" entzogen ist, wieder anzueignen.    

Text: Kathrin Becker
Berlin based curator and writer.  Kathrin Becker
From 2001 to 2019 she worked as a curator, managing director and head of the Video-Forum at Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.). video forum of the Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.)
From February 2020, she works as the artistic director oft the KINDL – Center for Contemporary Art, Berlin, Germany.  Kathrin Becker


"Visuelle Identitäten"


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Julia Allerstorfer

Provokative Karikaturen erscheinen auch mit freundlicher Genehmigung von Shahram Entekhabi, der sein Fass auf männliche Stereotypen richtet. In dem karikaturartigen Video verschmilzt Miguel Entekhabi einen Militanten aus dem Nahen Osten mit einem kubanischen Revolutionär in dem, was der ultimative Albtraum des reaktionären Westens sein muss. In Khakis gekleidet und mit einer Zigarre aus dem Mund, lacht Entekhabis Miguel in die Kameralinse, während er lässig mit einer Handgranate spielt.


Die kurze Videoarbeit „Miguel” beginnt mit einer Nahaufnahme zweier Hände, die mit anfänglich schwer erkennbaren, kleinen, vergoldeten Gegenständen spielen. In der Folge stellt sich heraus, dass es sich hierbei um Patronen für eine Schusswaffe handelt. Ein Mann mittleren Alters mit schwarzem Vollbart erscheint, der ein olivfarbenes Hemd und eine Kappe auf dem Kopf trägt. Die nächste Kameraeinstellung zeigt eine Ganzkörperaufnahme, die erkennen lässt, dass die von Shahram Entekhabi verkörperte Person von Kopf bis Fuß mit einer Militäruniform in schmutzigen Grün- und Olivtönen bekleidet ist. In einer seiner Hosentaschen ist eine Lampe erkennbar, um die Taille ist eine große Bauchtasche angebracht. Mit seinen schwarzen Kampfschuhen steht er breitbeinig in einem nicht näher definierten Raum. Seine bedrohliche Aufmachung erinnert an jene des Paramilitärs und der Guerillakämpfer. Nach nur wenigen Sekunden nimmt er einen Revolver aus einer Tasche, den er mit Munition lädt. Das Klick-Geräusch der Waffe ist ebenso bedrohlich wie das einsetzende Lachen. In Frontalansicht und die Pistole in seiner Rechten auf den/die Betrachter/in richtend, spielt er mit der Verpackung einer Zigarre herum, die er aufschraubt. Er nimmt die Rauchware heraus und wirft die metallene Hülle achtlos weg. Mit den Zähnen löst er den vorderen Part der Zigarre, den er geräuschvoll ausspuckt und laut auflacht. Aus einer Tasche fischt er plötzlich eine Handgranate und löst den Sicherungsring. Sein furchterregendes, verrücktes Gelächter intensiviert sich, während er die Granate nach vorne auf den Boden wirft). Diese explodiert jedoch nicht. Entekhabi zündet seine Zigarre mit einem Streichholz an, nimmt einen Zug und bläst den Rauch in Richtung Kamera, wodurch sein Gesicht und in der Folge auch sein Körper hinter den Schwaden verschwinden. An dieser Stelle endet das Video.
Kathrin Becker hat auf die Komplexität der Figur Miguels hingewiesen (Bitte oben lesen: Worte über "M"): Während der spanisch-portugiesische Name und die Zigarre auf Kuba sowie Fidel Castro und Che Guevara verweisen, rekurriert sein Aussehen gleicherweise auf bewaffnete Guerillatruppen des Nahen Ostens wie beispielsweise die iranisch-fundamentalistische Gruppierung der Fada'iyan-e Islam (Anhänger des Islam), die gemeinsam mit radikalen 246 Islamisten während der 1970er Jahre gegen den Schah im Iran kämpften. Die unmittelbare Kommunikation mit dem/der Betrachter/in wird im Video durch den fixierenden Blick Miguels und das Lachen hergestellt. Das Verhalten des Protagonisten ist zwischen Aggression und Autoaggression zu verorten, das in Form eines potenziellen Selbstmordattentates durch die Granate nur angedeutet bleibt. Da Entekhabis Spiel mit Gewalt bloß suggeriert wird, offeriert die Videoarbeit eine mögliche Rehabilitierung des durch Fremdzuschreibungen generierten Selbstbildes, das letztendlich auf den sozialen Stigmatisierungen als „Ausländer“ basiert.535 Von Interesse an der Figur des Miguel ist die stark radikalisierte Version des als „anders“ markierten Migranten, der im Video fundamentalistische und terroristische Züge annimmt. Die Gewaltbereitschaft gegen andere und sich selbst wird hier wie automatisiert mit dem islamischen Extremismus im Zeitalter von Post-9/11 verknüpft, wobei sich eine derartige Interpretation lediglich auf den Vollbart stützt.

Auszug aus dem Buch "Visuelle Identitäten" Autor: Julia Allerstorfer
(Dr. phil.) ist Assistenzprofessorin an der Katholischen Privat-Universität Linz.
  "Visuelle Identitäten" – Künstlerische Selbstinszenierungen in der zeitgenössischen iranischen Videokunst. Autor: Julia Allerstorfer, Publisher: transcript Verlag, Bielefeld, Germany.  transcript Verlag, Bielefeld, Germany

انتخابی هنرش را به عنوان تنها قلمرو ابراز وجود و تنها بستر قدرت‏ساز برگزیده. او ویدئوهای ساخته شده در فضاهایشهری غربی را در برابر انسان غربی که همواره با بی اعتنایی از کنار شخصیت های اصلی اش گذاشته اند قرار داده و آنها را وادار به دیدن کرده است. ویدئویی چهارگانه از انتخابی، شخصیت های بازنمایی شده از مردان مهاجری، از اقلیت های دینی و حزبی و نژادی به نام های ملادن ( از مجرمان بالکان)، ستاره اسلامی (مسلمانی افراط گرا)، محمت (عضوی از گروه کارگران کُرد) را در فضاهای عمومی پرتردد شهری نشان می دهد. ملادن با القای حس برتری جنسیتی خود، سعی در ایجاد رعب و وحشت و جلب توجه در معابر عمومی دارد. ستاره اسلامی تسبیح زنان و بی هدف در خیابان پرسه می زند و به قصد دیده شدن در مکان هایی نامناسب توقف می کند؛ و محمت به ستوه آمده از فرط تنگناهای موجود، تن به خودسوزی در ملاعام می دهد. تنها شخصیت به تصویر در آمده در محیط بسته میگوئل5 (پارتیزانی غیرنظامی) است که با نگاه خیره به دوربین و خنده های فزاینده قصد گمراه کردن و استهزای برداشت احتمالی بیننده از هر حرکت وی به عنوان پیش درآمد عملی تروریستی دارد. حرف «م» مشترک در اول اسامی آنها دلالتگر کلماتی است که درون مایه آثار انتخابی را تشکیل می دهند: مردانگی، مسلمان، مهاجر، میدل ایست (خاورمیانه) ماینوریتی (اقلیت) و میمیکری -همگونی


The video "Miguel" is part of the permanent collection in the video forum of the Video Forum of the Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.) video forum of the Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.)
The video "Miguel" appeared at the following exhibitions and festivals, among others: 2017: The Border Pavilion — curated by Raul Zamudio, an integral part of Jeanette Doyle's CF Project, Venice, Italy
2016: Inferno I, Galerie Pristine in Monterrey, Mexico
2016: Acts of Sedition, White Box, New York, USA
2015: drama baby! on staging the self, UNST Berlin, Kühlhaus Berlin, Germany
2015: FLUX Art Fair; curator Raul Zamudio presents Shahram Entekhabi — FLUX Art Fair, Harlem, New York
2012: Knapp daneben ist auch vorbei, pilot projekt, Düsseldorf Reisholz, Germany
2012: BODY SNATCHERS, curated by Raul Zamudio, WHITE BOX, New York, USA
2012: Identity II, Forming Identity, curated by Claudia Marion Stemberger, Fotogalleri wien , Vienna, Austria
2012: Frankenstein on the Beach, curated by Raul Zamudio, White Box NY, New York, USA
2012: Postpop, curated by Behrang Samadzadegan, Mahe Mehr Gallery, Tehran, Iran
2011: The Third Eye, Other Gallery Shanghai, China (catalogue)
2011: How To Philosophize with a Hammer, WHITE BOX, New York, USA
2009: Kunst und Öffentlichkeit. 40 Jahre Neuer Berliner Kunstverein, Neuer Berliner Kunstverein, Berlin, Germany
2009: 10th Havana Biennial, 2009, Havana, Cuba
2009: MY FAVOURITE PASTIME, Artprojx Space | Artists Film Club, London, United Kingdom
2008: Emerging Discourse II: Performance and Mimicry, curated by Shaheen Merali, Bodhi Art, New YorK, USA
2008: Art is a man’s name, Temporäre Kunsthalle, Berlin, Germany
2006: Something in Common, Galerie Anita Beckers, Frankfurt/ Main, Germany (solo exhibition)
2006: It’s been a long way, baby, Bunkier Sztuki, Krakow, Poland (solo exhibition)
2006: Portraits - The View Behind the Make-up, Galerie Anita Beckers, Frankfurt/Main, Germany
2006: Auflösung III, (Realismusstudio)m Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK), Berlin (catalogue)

The video "Miguel" appeared in the following Publications: Fremde Männer : Männlichkeit und Ethniziät – Other Men kritische berichte Heft 4.2007
Sabine Kampmann und Alexandra Karentzos
Jonas Verlag / kritische berichte

One person’s Trash is another Person’s Treasure
book by Shahram Entekhabi
Publish Date: 2008. From “the book by” series of Fine Arts Unternehmen Books AG.


شهرام  انتخابی    尚莱姆_恩特卡比
Shahram Entekhabi is an German-Iranian- artist, curator & architect, currently living & working across Tehran, Iran - Berlin, Germany and Europe.