Islamic Vouge, 2001-2005
Acryl and permanent marker on print, 46,5 x 33,5 x 4 cm.
Shahram Entekhabi gehört wie Shirin Neshat zu den Kunstschaffenden, die sich in ihrem künstlerischen Werk stark mit ihrem Heimatland, dem Iran, auseinandersetzen. Seit längerem im Westen lebend reflektieren beide auf individuelle Weise Land und Leute aus der Distanz. Seit 2001 bedeckt Entekhabi in Modemagazinen, Werbeprospekten sowie auf Reproduktionen persischer Miniaturen, modernen Plakaten und Postkarten sämtliche weibliche Figuren mit einem Schleier. Mit schwarzer Farbe übermalt er ganze Ausgaben von Vogue (Islamic Vogue. 2001-2005), die Rückseiten von Playboyspielkarten (Playboy Cards, 2006) sowie Poster von Pinups Heroines, 2006), von Playboy (2006) sowie von Little black dress / H and M (Kleines Schwarzes, 2003/2005) und islamisiert damit quasi die westliche Ästhetik der Modewelt. Mit dem lückenlosen Übermalen von Frauenfiguren mit dem §Tschador’ weist der Künstler auf die Realität in seinem Geburtsland hin, wo die Ganzkörperverhüllung der Frauen in Schwarz ominpräsent ist. Gleichzeitig bezieht er sich mit dem Akt des Übermalens auf die Praxis der islamischen Revolution, als die religiösen Führer Irans in Zeitschriften und Büchern der öffentlichen Bibliotheken und Universitäten alle weiblichen Körper auf diese Weise zensurierten oder herausschnitten. Eine direkte Anlehnung an diese Aktion sind die Miniatures (2002-2003).
Menschen und eines ganzen Volkes an, die durch die „Uniformierung“ eingeschränkt wird und schliesslich zum inneren Konflikt führen kann. Anders als in der Realität, lässt er teilweise Füsse, ganze Beine oder Arme sichtbar bleiben und evoziert damit das Bedürfnis nach Freiheit der Verhüllten. Mit den Übermalungen der Models hinterfragt der Künstler auf der anderen Seite die heute vorherrschenden Schönheitsvorstellungen der westlichen Welt.
„ In Tents and Sacks (2006) geht Entekhabi erstmals einen Schritt weiter und übermalt auf Filmpostern von Tarantino, Mr. & Mrs. Smith (mit Angela Jolie und Brad Pitt) u.a. nicht nur die Frauenfiguren sondern auch die Köpfe der Männer. Er stülpt ihnen eine graue Tüte über das Haupt und versteckt so ihr Gesicht. Es ist dies eine Technik, die an die Praxis der US-Amerikaner erinnert, wenn sie männliche politische Gefangene isolieren oder transportieren. Jeglicher Blickkontakt mit der Umwelt ist ausgeschlossen, was zur Desorientierung des Betroffenen führt und jegliche Kommunikation verhindert. Him and Her ist die Weiterführung und der Abschluss dieser Übermalungs- resp. Verhüllungsserie des Künstlers. Im ganzen Magazin stellt er Schleier und Tüten einander gegenüber. Während seit dem geschichtsträchtigen 11. September in der westlichen Welt durch die Medien der schwarze Tschador zur Metapher für den fundamentalistischen Islam hochstilisiert wurde, werden inzwischen die mit übergestülpten Beuteln gefangenen Männer, ob schuldig oder nicht, als potentielle Terroristen manifestiert.
Entekhabi beschäftigt sich mittels dieser im Westen vorherrschenden Bilder mit seiner eigenen Herkunft, seiner Migration, den damit verbundenen Erfahrungen und mit der aktuellen Weltgeschichte per se. Die mit „Migrant“ betitelte Fotoserie und das gleichnamige Video zeigen den Künstler, wie er von Sicherheitspersonal gefilzt wird. Entekhabi weiss aus eigener Erfahrung, was es heisst mit einem iranischen Pass im Westen zu leben und zu reisen. Primär ist man verdächtig und wird als potentiell gefährlich eingestuft. Es gibt keine Grauzonen. Auf die Frage, was die Migration bei ihm persönlich bewirkt hat, antwortet er: „Zunächst völlige Desorientierung. Und nach einer gewissen Zeit hatte ich das Bedürfnis, mich vom Heimatland zu distanzieren.“ 1963 geboren, verliess er nach dem Erststudium an der Universität Teheran den Iran, um in Perugia Architektur, Urbanismus und die italienische Sprache zu studieren. Anschliessend lebt und arbeitet er ab 1983 in Berlin und seit 2006 in London. Erst in diesem Jahr kehrte er nach über zwanzig Jahren erstmals für einen kurzen Aufenthalt in den Iran zurück.
Dolores Denaro
Master (lic.phil hist./MA) in modern art history, history of architecture and preservation of ancient monuments, as well as in science of religions at the University of Berne. Master of Advanced Studies (MAS) in Art Management at the University of Basel.
Islamic Vouge
Das Verhüllungsgebot für gläubige Schiitinnen in Form des schwarzen Tschadors und des Niqab geriet im Zuge der islamischen Revolution zur einzig möglichen öffentlichen Erscheinungsform der Iranerinnen. Gleichzeitig setzte eine Zensur von Abbildungen unverschleierter Frauen in Büchern und Zeitschriften in den Beständen öffentlicher Bibliotheken ein: Bilder von unverhüllten weiblichen Köpfen und Körperteilen wurden entweder aus den Druckerzeugnissen herausgeschnitten oder übermalt und so in eine gültige Ästhetik überführt. Der Tschador wurde nach den Anschlägen vom 11. September zur Metapher für den radikalen Islamismus, aber auch für die - stark vom Westen gelenkte - Frage nach der Befreiung der Frauen im Mittleren Osten.
In seiner Serie Islamic Vogue, die Shahram Entekhabi im Jahre 2001 begann, betreibt er in einer Art ironischen Mimikry dieser Zensurmethoden die Islamisierung der westlichen Mode-Welt, indem er alle in der deutschen Ausgabe der Zeitschrift „Vogue“ abgebildeten Frauen mit Tschador und Niqab verhüllte. Von Seite zu Seite variieren nur mehr die Überschriften, die mit dem immer gleichen aktuellen „Look“ der Schiitinnen mitunter absurde Kombinationen eingehen. Auch spiegelt Islamic Vogue die Tendenz unter aufgeklärten Frauen in der islamischen Welt, unter dem Schleier westliche Mode zu tragen - ein Aufbegehren gegen die Uniformität und eine Dehnung der Regeln für das öffentliche Erscheinungsbild von Frauen.
Es ist ein unheimliches Bild, das uns Shahram Entekhabi vorsetzt. Einerseits ist es die beklemmende Tatsache, dass viele Frauen diesen Zwängen ausgesetzt sind. Unweigerlich erinnern diese Bilder gar an schwarze Witwen, wie wir sie aus Presseberichten kennen. Anderseits befragen die Bilder auch die oft fragwürdigen Schönheitsideale der westlichen Welt. Zwei Kulturen stossen in Shahram Entekhabis Arbeit aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht dargestellt werden könnten.
Fünf Magazine aus den Jahren 1999 bis 2005 wurden in den vergangenen Jahren bemalt. Entstanden sind so wiederum verfünffachte Gedankenträger, die in ihrer Gestalt als Unikate verstanden sein wollen.
Shahram Entekhabi hat alle Abbildungen von Frauen in den Vogue-Zeitschriften mit schwarzem permanent marker so bemalt, dass die Modells in Tschador und Niqab gekleidet wurden und jeweils nur noch die Augenpartie offen geblieben ist. Die Frontseite der Magazine wurde mit Acryl-Farbe bemalt. Die Magazine werden in einer schwarzen Kassette auf einem edlen roten Stoffbezug angeboten. Die Kassette hat die Masse 46,5 x 33,5 x 4 cm und erlaubt, dass das Heft aufgeschlagen hineinpasst und so präsentiert werden kann.
Jürg Nyffeler, 2005
∗ Islamic Vouge is part of the permanent collection in the Edition 5 Erstfeld, Erstfeld, Switzerland
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