short video trailer


No EXIT / Berlin, 2011 HD video, 05:08 min., color
Live performance using 2000 meters of Caution Tape
Vocal ensemble:: Vox Nostra*
Cameras: Kristina Paustian & Anton Werner
Sound: Artem Besukladnikov
An artistic, architectural and performative intervention in Zionskirche (Evangelical church), Berlin, Germany
in collaboration with Vox Nostra – Vocal Ensemble

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No EXIT / Berlin

Das Projekt „No Exit “ ist eine Kollaboration zwischen dem Künstler Shahram Entekhabi und dem internationalen Vokalensemble "Vox Nostra". Realisationsort ist die Zionskirche in Berlin-Mitte. Shahram Entekhabi und Vox Nostra sind gleichermaßen aktive Protagonisten der performativen Intervention. Der performative Prozess wird von zwei Kameras aufgezeichnet als Grundlage für ein unabhängiges Video zum Projekt. Die Kameraarbeit übernimmt Kristina Paustian. Ferner ist vorgesehen, dass ein geladenes Publikum den Dreharbeiten in der Zionskirche beiwohnen kann.

Die Aktion setzt sich einerseits aus der Arbeit Entekhabis mit rot-weißem Absperrband zusammen, das er bereits in diversen Videoperformances und Interventionen verwendete. Andererseits ist Vox Nostra aktiv an der Aktion beteiligt, in dem es nicht nur einen Teil seines Repertoires singt – ausgewählte liturgische Kompositionen des Mittelalters aus der Messe des Festtages Assumptio Mariae (Maria Himmelfahrt), – sondern sich auch im Kirchenraum aktiv bewegt.

Entekhabi errichtet im Innenraum der Kirche eine mauerartige "Architektur", indem er das Absperrband – gehalten von zwei Trägern – hin und her spinnt, so dass eine ephemere Barriere im Raum entsteht. Damit knüpft er an die Tradition der Chorschranken oder der Ikonostase in der Ostkirche an, die den Sakaral- vom Profanraum trennt. Gleichzeitig steht die Arbeit mit dem Absperrband aber auch in einem spezifischen Zusammenhang zum Gesamtwerk Entekhabis. Zum ersten verwendete er das Band in verschiedenen Videoperformances (vgl. z.B. Caution / Cleveland, 2005), um im öffentlichen Raum Territorien abzusperren und diese für sich zu besetzen. Zum zweiten wurde das Absperrband zum "Baumaterial" für so genannte "parasitäre Architekturen", mit denen er informelle Erweiterungsbauten zu bestehenden Museumsarchitekturen entwickelte. Zum dritten verwendete er seit jüngster Zeit das Band auch für Interaktionen mit dem Publikum seiner Performances, indem er die Absperrleine verwendet, um BetrachterInnen aneinander zu fesseln, ihr Gehen zu erschweren oder ihre Augen zu bedecken (vgl. Caution Me, 2009). Immer steht das Material in Zusammenhang mit Aktivitäten einer "migratorischen Ästhetik", die Prozesse der Inklusion und Exklusion sowohl im Kunstbetrieb als auch im gesellschaftlichen Kontext aufgreift und thematisiert.

Vox Nostra ist ein international besetztes Ensemble aus Berlin unter der Leitung von Burkard Wehner, das sich auf die Vokalmusik des Mittelalters spezialisiert hat. Aus den erhaltenen Kompositionen der frühen europäischen Kulturzentren – Klöster, Kathedralen und Höfe – formt Vox Nostra Konzertprogramme, die der ZuhörerIn einen akustischen Einblick in die archaischen Klangwelten des Mittelalters ermöglicht. In „No Exit“ wird Vox Nostra zum Teil des performativen Prozesses. Einerseits entsteht durch die Aktion von Entekhabi eine Trennung zwischen dem Publikumsraum und dem Aktionsraum des Ensembles – in Anlehnung an die Tradition der Unterscheidung von Profan- und Sakralraum. Andererseits sind die Mitglieder des Ensembles während des Singens in Handlungen gefangen, die an reduzierte alltägliche Handlungen erinnern und auf den Prozess des Wartens verweisen. Auf diese Weise impliziert die Aktion zum einen den schmerzlichen Prozess der Trennung von Mensch und Gott/Religion/Kirche, die mit den Schriften Ludwig Feuerbachs ihren Höhepunkt hatte und den Schöpfungsmythos in sein Gegenteil verkehrten, so dass der Mensch Gott "nach seinem Bilde" erschuf, oder auch Nietzsches Existenzphilosophie.

Zum anderen thematisiert sie in Form der Stilisierung des Wartens die ununterbrochene Suche und Hoffnung auf Erlösung.

Ein weiterer wesentlicher Impuls für das Projekt geht auch von der Wahl der Zionskirche als Realisationsort aus. Die evangelische Votivkirche wurde 1873 nach Plänen von August Orth entrichtet und nimmt eine ganz besondere Rolle in der Berliner Geschichte ein. Hier war etwa Dietrich Bonhoeffer ab 1931 als Vikar tätig, der bis zu seiner Hinrichtung im KZ Flossenbürg Aktivist der Bekennenden Kirche und des Widerstandes gegen Hitler war. Zu DDR-Zeiten war die Zionskirche dann Versammlungsort auch für oppositionelle Gruppen, wie dem „Friedens- und Umweltkreis der Zionsgemeinde“ und generierte ab 1986 zu einem der zentralen Punkte des kirchlichen Widerstands gegen das DDR-Regime. Hier offenbart sich einen gesellschaftliche Dimension kirchlicher Arbeit als Widerstand gegen Unrechtsregime.

Eine weitere Rolle kommt in der Intervention in der Zionskirche dem Publikum zu, das sich frei im Kirchenraum bewegen und aktiv am Prozess teilhaben kann. Auf diese Weise wird es nicht nur zum Rezipienten einer performativen Intervention, sondern auch Mitwirkender bei Dreharbeiten und wohnt also in doppelter Hinsicht der Entstehung eines künstlerischen Werks bei.

Text: Kathrin Becker
Kathrin Becker    Berlin based curator and writer.
From 2001 to 2019 she worked as a curator, managing director and head of the Video-Forum at Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.).
From February 2020, she works as the artistic director oft the KINDL – Center for Contemporary Art, Berlin, Germany.

Vox Nostra*
VOX NOSTRA Since its founding in 2001, the vocal ensemble Vox Nostra under the direction of Burkard Wehner has devoted practically and theoretically to the vocal music of the Middle Ages.
The ensemble: Amy Green (Sopran), Susanne Wilsdorf (Sopran), Christoph Burmester (Alt/Tenor), Burkard Wehner (Tenor) and Tobias Hagge (Bass).


شهرام  انتخابی    尚莱姆_恩特卡比
Shahram Entekhabi is an German-Iranian- artist, curator & architect, currently living & working across Tehran, Iran - Berlin, Germany and Europe.