Visuelle Identitäten [*]
Der Fokus auf Selbstinszenierungen als der migrantische „Andere“ spiegelt sich in Entekhabis postkolonialer künstlerischer Praxis wider. Zentrale Aspekte des in Iran geborenen und in Deutschland lebenden Künstlers sind Migration, Transit und das Spiel mit Rollen, stereotypen Zuschreibungen und Klischeebildern. Anhand von aus- gewählten Arbeiten wird zunächst die komplexe Konstruktion des Selbst als „Anderer“ untersucht: Im Video „i?“ (2004), in dem Entekhabi die von ihm verkörperte Figur des Migranten entwickelt, geht es um die Verdoppelung der eigenen Person und das Verwirrspiel zwischen zwei identischen Figuren, die durch Blickwechsel interagieren. Fragmentarische Ansichten, kurze Sequenzen und rasche Schnittfolgen verstärken die Verunklärung und Dekonstruktion von Identität . Auch in anderen Arbei- ten inszeniert der Künstler stereotype Bilder migrantischer Alterität, wie etwa in den 2005 entstandenen Videos „Miguel“, „Mehmet“, „Mladen“ und „Islamic Star“ . Hier performt der Künstler als lachender Guerillakämpfer mit Handgranate, als kurdischer Aktivist, als Krimineller aus der Balkanregion und als orthodoxer Muslime mit grünem Stern an der Brust und Gebetskette in der Hand. Den Figuren gemein ist die ironisch-satirische Überzeichnung, die Einbettung in den öfentlichen Raum, der Fo- kus auf Blickverhältnisse und das Spiel mit den Zuschreibungen. Die Verkörperung als migrantischer „Anderer“ indet sich ebenso in Entekhabis Zeichnungen wieder . Im Zuge eines Vergleichs mit Positionen der iranischen Gegenwartskunst werden unter anderem Gemeinschatsarbeiten Entekhabis vorgestellt, die in Europa oder in Iran ent- standen sind und von einer aktiven Vernetzung zeugen .
… In der Folge eine Kontextualisierung im internationalen Umfeld von Interesse . Die dekonstruktiven Strategien und die zentralen Aspekte Migration, Ethnizi- tät und Männlichkeit werden zuletzt wiederum mit theoretischen Ansätzen verknüpt ; die „Konzeptualisierung des Performativen“ kann anhand der Mimikry analysiert werden: Entekhabi performt sichtbare Alterität und tritt mit einem Publikum in Inter- aktion. Handlung vollzieht sich weniger in Sprechakten und konkreten Aktivitäten, sondern auf der subtilen Ebene von Blickverhältnissen. Medial transportierte, migran- tische Stereotypen und Repräsentationen von ethnischer Alterität werden wiederholt, kopiert, rezitiert; in den starken Überzeichnungen und ironischen Stereotypisierungen der Figuren Ironisierungen lassen sich Abweichungen erkennen, die Zuschreibungen von Identität bzw. Alterität als konstruiert entlarven . Ein weiterer Aspekt ist das „strategische Othering durch Maskerade“ und die damit intendierte Verschie- bung und Neuinterpretation einer sich in Bewegung beindlichen Identität : Aufgrund seiner transkulturellen künstlerischen Arbeit kommt dem Künstler die Rolle des Übersetzers zu. Strategisches Othering als visuelle Strategie bezeichnet die prozessuale Selbstüberschreibung und Diferenzmarkierung durch Maskeraden. Ne- ben dem Vorgang der Mimikry ist hier eine Verdoppelung von Alterität erkennbar, da Entekhabi auch ohne Maskerade einen iranischen Migranten in Deutschland ver- körpert: Die vermeintlich klaren Grenzen zwischen dem Selbst und den Anderen verschwimmen, Zuschreibungen erweisen sich als kompliziert. Entekhabis künstle- rische Praxis mit den heterogenen, aber nie eindeutigen kulturellen Referenzen kann in den von Bhaba beschriebenen in-between spaces, den Zwischenräumen der sich überlappenden kulturellen Sphären, oder im „Dritten Raum“ verortet werden, die produktiv für Neuinterpretationen von Identität genutzt werden.
Julia Allerstorfer-Hertel
[*] Auszug aus dem Buch von Julia Allerstorfer-Hertel: "Visuelle Identitäten"
Formen der Selbstinszenierung in Videoarbeiten Simin Keramatis und Shahram Entekhabis
Julia Allerstorfer-Hertel (Dr. phil.) ist Assistenzprofessorin für Kunstwissenschaft am Institut für Geschichte und Theorie der Kunst an der Katholischen Privat-Universität Linz.