"Visuelle Identitäten"
...
Julia AllerstorferAuch hier kommt ein dekonstruktives strategisches Repertoire zur "Ent/Fixierung" von männlicher – in diesem Fall "muslimischer" – Identität zum Einsatz. Eine männliche Person mit grauer Bundfaltenhose, weitem weißen Hemd, Kopfbedeckung und schwarzem Vollbart bewegt sich inmitten einer Straße mit zahlreichen Menschen aus dem Hintergrund in Richtung Kamera nach vor. Seine Bekleidung rekurriert auf jene eines orthodoxen Muslimen. Als er näherkommt, erkennt man eine traditionelle Gebetskette und den in den Brustbereich seines Oberteils angehefteten grünen Stern. Grün gilt als Farbe des Islam, auf den Stern ist der Buchstabe "M" für "Muslime" gestickt. Kathrin Becker hat hier zurecht auf die starke Symbolik des sichtbaren Sterns verwiesen, der an das visuelle Identifikationsmerkmal von Juden zur Zeit des deutschen Nationalsozialismus erinnert. Die musikalische Kulisse besteht aus einer Verschränkung von arabischer und iranischer Musik. In der Folge wartet der Protagonist am Gehsteigrand auf das Überqueren der Straße. Neben ihm steht eine Frau, die ihn vorerst ignoriert und dann doch von der Seite mustert. Nach dem Passieren des Fahrweges verharrt er neben mehreren anderen Passantinnen und Passanten vor der nächsten Straße. Alle setzen sich in Bewegung und keine Person scheint ihn wahrzunehmen. Eine Totale zeigt ihn, wie er inmitten einer Menschengruppe steht und mit seiner Gebetskette spielt. Wiederum nehmen ihn die Personen nicht wahr. Die nächsten Einstellungen geben ihn in Rückenansicht wieder, wie er isoliert und wie eingefroren auf einem breiten Gehsteig neben Geschäftslokalen verweilt und ausschließlich die Kette in seinen Händen bewegt. Lediglich ein Passant blickt ihn im Vorbeigehen an. Es folgt eine Profilansicht des "Muslimen", der seine Augen geschlossen hat und diese langsam, fast zögerlich, wieder öffnet und dann wieder schließt. Aus den nachfolgenden Close-ups seiner Hand mit der Kette geht hervor, dass er mit voller Konzentration in sein Gebet versunken zu seinscheint und sein Umfeld quasi ausblendet. Auch in der Folge wird er so gut wie überhaupt nicht registriert oder in irgendeiner Form wahrgenommen. Er setzt sich wieder in Bewegung und überquert erneut zwei Straßen. Ein Pärchen mittleren Alters dreht sich nach ihm um und der Mann greift sich mit der Hand auf den Kopf. Es bleibt jedoch unklar, ob sich diese Geste auf den Hauptprotagonisten bezieht, der bereits aus dem Bild verschwunden ist. Dieser sitzt in der Folge neben anderen Personen auf einer Parkbank und spielt nach wie vor mit seiner Gebetskette. Die letzte Einstellung im Video zeigt eine Detailaufnahme seiner Brust mit dem angehefteten grünen Stern. Im Hintergrund sind verschwommen eine stark befahrene Straße und die zum Teil bereits eingeschaltenen Abblendlichter der Autos zu erkennen.
Wiederum thematisiert Entekhabi in der von ihm verkörperten Figur des „Muslimen“ Differenzen, die ihn deutlich von den anderen Personen im öffentlichen Raum unterscheiden. Die Sichtbarmachung der Alterität des islamischen „Anderen“ operiert mit subversiven Re/Präsentationsstrategien, die vom Künstler in performativen Akten vorgetragen werden. Das indexikalische Zeichenrepertoire für die Konstruktion eines Fremdbildes beschränkt sich nicht nur auf Kleidung, Vollbart, grünen Stern und Gebetskette. Wie in den anderen Videos werden die Differenzartikulationen auch in den Blickverhältnissen und komplexen Rollenverteilungen zwischen Beobachter und Beobachteten deutlich. Hinzu fügt sich der starke und ambivalente Symbolgehalt des Judensterns, der in diesem Falle durch die grüne Farbe und das eingestickte „M“ mehr oder weniger „islamisiert“ wurde. Skurril erscheint ebenso die Tatsache, dass Entekhabi dieses Identifikationzeichen sichtbar auf seiner Brust trägt und sich somit bewusst als „Fremder“ bzw. „Muslime“ zu erkennen gibt. Der Stern, durch den die jüdische Bevölkerung in Deutschland während der NS-Zeit markiert wurde, gilt als aggressiver und rassistischer Indikator für ethnische Alterität. Diesen Symbolgehalt macht Entekhabi für sein Video fruchtbar, indem er das Zeichen modifiziert, in einem anderen kulturellen und religiösen Bereich kontextualisiert und sich somit selbst als Außenseiter markiert.
ISLAMIC STAR appeared at the following exhibitions and festivals, among others:
2014: Breath from a warm locale,Parkingallery in collaboration with Asayeshgah projects, croxhapox, Gent, Belgium