still images


I?, 2004
PAL video, 04:17 min., Stereo, non-Dialogue
Cameras: Arne Hector
Written, directed, and performed: Shahram Entekhabi
Thanks to: Fine Arts Unternehmen AG.


Abenteuer eines im Westen gestrandeten Migranten aus dem Mittleren Osten


Asieh Salimian

In seinem 4:17 Minuten langen Film "I?" von 2004 entwickelt  Shahram Entekhabi einen gegenwärtigen  Bezug zu Samuel Becketts einzigem Film "Film" (1965) mit Buster Keaton in der Hauptrolle. In der typischen und 1965 bereits historischen Herangehensweise des frühen Kinos, das ohne Dialoge auskam, intensive Körperbewegungen zeigte und jenes Schockerlebnis in der Begegnung mit der Stadt als Sinnbild der Moderne zeichnete, springt und hüpft Keaton 40 Jahre nach seinen größten Erfolgen in New York City herum, wobei er sein Gesicht niemals einem Passanten oder dem Publikum zeigt. In der finalen Einstellung und als ein mögliches ironisches Zugeständnis an den nach realistischen Lösungen hungrigen Betrachter wird sichtbar, dass sein Gesicht schrecklich entstellt ist.
Das Grundelement des Beckettschen Konzepts ist die ungleiche Kombination des Umhergehens im Stadtraum mit dem Verbergen des Gesichts. Entekhabi nimmt die konzeptuelle Dimension von "Film" auf, lässt aber ein solch beruhigendes Ende aus - beruhigend, weil es die Ablehnung des Blickkontaktes auf die Figur projiziert, die sich verbirgt. Entekhabis einsame Figur wird nie gesehen, weil es ihre Umgebung nicht interessiert, sie zu sehen. Es ist heute von entscheidender Bedeutung, das Verhältnis zwischen dem Individuum zu reflektieren, dessen Leben die von uns respektierten Bedingungen fordert, und den größeren Communities, für deren Mitglieder die westliche Welt diese Individualität verweigert. In ihrer intertextuellen Beziehung zu "Film", fokussiert "I?" nicht die Betonung individueller Gesichtszüge, gerade weil ein wahrhaftiger Blickkontakt nicht entsteht. Die Mechanismen einer konzeptuellen Ergründung, die den heroisierenden Individualismus mit seiner Gleichsetzung von Hollywood-Startum und elitären Kriterien eines Künstlergenies ablehnt, bieten eine Möglichkeit, Identität zu erforschen, ohne dieses Konzept zu sentimentalisieren, wobei sie es vor dem Missbrauch der Identitätspolitik und ihren Gegenreaktionen bewahren. In 10 sehr kurzen Sequenzen positioniert "I?" den Migranten in diversen urbanen Situationen, die auf sein tägliches Leben verweisen, von der morgendlichen Rasur zu Hause zum Markt, zum Kaffeehaus und zurück zu dem Haus, in dem er lebt. Ein voller Tag, ein volles Leben und doch kein Blickkontakt. "I?" wurde der Ausgangspunkt einer Reihe kurzer Filme, in welcher die Beschreibung historischer Kontinuität und geografisch gescheiterter Begegnungen weiter thematisiert wird. In diesen Filmen ist das tägliche Leben des Migranten weiter stilisiert und auf einzelnen Handlungen reduziert: das Reisen, die Arbeitssuche, die Intervention im öffentlichen Raum, das Anbieten von Kuchen an seinem Geburtstag und die Flucht vor argwöhnischen Stadtbewohnern, die ihn endlich wahrnehmen, und dabei denken, dass er nichts Gutes im Schilde führt.

Handlungsverlauf:
"I?" besteht aus zehn Episoden, in denen ein Tag aus dem Leben des Protagonisten "O", gespielt von Shahram Entekhabi, erzählt wird. Im Film wechseln die Perspektiven des Protagonisten und der Kamera beständig ab, um das Problemfeld von Selbst- und Fremdwahrnehmung, „Ich“ und „der Andere“, zu thematisieren. Bis auf die Schlussszene wird jedoch das Gesicht des "O" (und seines später auftauchenden „Zwillings“) niemals gezeigt. In einem geschlossenen Kreislauf beginnt und endet der Film in der Wohnung des Protagonisten, wobei die Handlung jeweils um das Spiegelbild des O kreist.
Nach dem Aufschrecken aus dem Schlaf durch die scheinbare Anwesenheit einer fremden Person in seiner Wohnung steht "O" auf. In der Folgeszene wird die Kamera Zeuge des Wahns von "O", ständig beobachtet zu werden, mitunter sogar durch leblose Gegenstände wie Fotografien, während er gleichzeitig durch das Verhängen eines Spiegels zwanghaft versucht, Selbstwahrnehmung zu vermeiden. Nach dem Verlassen der Wohnung nehmen die Wahnvorstellungen zu, und es deutet sich an, dass ein zweiter Protagonist, "F", der wiederum von Shahram Entekhabi gespielt wird, tatsächlich "O" beobachtet, ohne dass "O" dessen gewahr wird. Vielmehr fühlt er die ganze Zeit nur, dass er beobachtet wird, ohne dass er aber tatsächlich jemanden sieht, bis er schließlich auf den zweiten Protagonisten aufmerksam wird und beginnt, diesen zu verfolgen. Eine sich zunehmend dramatisch steigernde Verfolgungsjagd nimmt ihren Lauf, die E und den ihn verfolgenden "O" schließlich zurück in die Wohnung des "O" führt. In der Wohnung selbst aber findet O niemanden vor. Der Film endet, als "O" sich selbst im Spiegel erblickt.

Asieh Salimian
Asieh Salimian wurde 1988 in Isfahan, Iran, geboren. Studierte Kommunikationsdesign. Ihr kuratorisches Interesse gilt transnationalen Fragestellungen und Fragen der Hegemonie im Kunstfeld.
Salimian initiierte Factory TT mit Shahram Entekhabi im Jahr 2015 als interdisziplinäres Netzwerk von Forschern und Künstlern. Asieh Salimian

The video "I?" is part of the permanent collection in the video forum of the Video Forum of the Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.) video forum of the Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.)


The video "I?" appeared at the following exhibitions and festivals, among others: 2013: You Are What You See — Raf Art Gallery, Tehran, Iran (solo show)
2015: "I?" — Visual Cultures (Lecture), Goldsmiths University of London, United Kingdom
2009': Das Bild des Fremden in Deutschland und Frankreich’ — Deutsches Historisches Museum (DHM), Berlin, Germany
2009': bedün´ ? onvän´ 3 — Short video pieces reflecting on social & gender issues in Iran — Barbican Centre, Silk Street, London, UK
2009': Video art selection — Video Art program, curated by Sabine Schütze, Preview Berlin The Emerging Art Fair , Berlin, Germany
2009': The Third Guangzhou Triennial — Guangdong Museum of Art, China
2008: PROYECTO MONOLOGS — Laboratorio Global de Monologos y Video — curator Elisa Eliash, Rome, Italy
2008: IDEAL.LOOP — Espace Croisé, Roubaix Cedex 1, France
2008: LOOP’08 Festival “SELECTED #3, A source for videoart lovers” — The sixth videoart festival LOOP’08, Barcelona, Spain (catalogue)
2007: Kunstfilmtag — Kuenstlerverein Malkasten, Duesseldorf, Germany (catalogue)
2007: 100 Tage = 100 Videos, GL Strand, Copenhagen, Denmark (catalogue)
2007: TRUNK07, THE NORDIC ART VIDEO FESTIVAL — CinemaRegina, Östersund, Sweden
2007: LED-Wall, Zeithaus, VW Autostadt, Wolfsburg, Germany
2007: Optica, International Festival of Video Art — GIjón-Asturias, Spai
2006: Labyrinth X - zu Rassismus und Ausgrenzung — Nikolaikirche, Rostock, Germany
2006: Beckett & Company, panel discussion and artist talk — Tate Modern, London, UK
2005: Exhibition of the 10 winning videos of the festival FIAV.05 — Metrònom, Barcelona
2004: "I?" — PLAY Gallery for Still and Motion Pictures, Berlin (solo show)



شهرام  انتخابی    尚莱姆_恩特卡比
Shahram Entekhabi is an German-Iranian- artist, curator & architect, currently living & working across Tehran, Iran - Berlin, Germany and Europe.